Donnerstag, 3. März 2011

Meine Erlebnisse als Call-Center Betrügerin




Mein Karma ist ja sowieso im Eimer. Ich bin nicht gerade der beste Mensch, mein größtes Hobby ist es, auf einer Internet-Freundesfind-Seite hormongesteuerte Männer nachts quer durch die Stadt zu schicken, und ich finde KT Guttenberg ist auch kein „ganz Netter“.
Aber es gibt eine Sache, die selbst mir bis heute moralisch nachhängt und die ich wirklich bereue.

Ich habe mal 4 Tage in einem Callcenter gearbeitet. Outbound, also wir haben Leute angerufen. Kaltakquise mit verschlüsselter Nummer. Ich habe Gewinnspiel-Teilnahmen „verkauft“, dazu noch ein Zeitungsabo (vermute ich zumindest ganz stark, aber genau wissen tu ich es nicht) und musste während des Gespräches noch die Daten der angerufenen Person „ergänzen“ (also wenn jemand erwähnt hat, er mag Technik, musste das in den Datensatz geschrieben werden – das erhöht den Wert der persönlichen Daten).

Alles Tatbestände des Betruges.


Wie es dazu kam?
Ich habe letztes Jahr einen Job gesucht, und irgendwann ist mir ein Flyer mit dem Stellenangebot in die Hand gefallen. „Kundenservice per Telefon“ hieß es da auf dem Flugblatt. Naja, ich kann gut reden und habe eine angenehme Telefonstimme. Ich wurde sofort genommen und sollte erstmal bei einem „Profi“ mithören. Da hat sich mir erstmal erschlossen, dass es um Telefonverkauf ging. Okay, ich hatte keine Ahnung von der Materie, und habe mir nichts dabei gedacht. Keine halbe Stunde später saß ich dann mit einem Headset auf dem Kopf und dem Gesprächsführer vor mir am Computer, keine zwei Stunden später hatte ich der ersten älteren Dame einen Vertrag aufgeschwatzt. Da dachte ich aber leider noch, dass wäre gesetzlich dicht, ich musste da Sachen von wegen „Rückrufrecht“ und „Gewinngarantie“ blubbern. Und habe das selber geglaubt.


Und nein, ich habe keinerlei Ausbildung bekommen oder eine „Anlernphase“ gehabt. Ich hab einen „Gesprächsleitfaden“ bekommen, den musste ich dann wortgetreu betont vorlesen. Bei den Preisen aber immer nuscheln, das war der einzige Tipp, den ich mit auf den Weg bekam. Und ich weiß bis heute nicht, WAS genau ich da eigentlich verkauft habe. Ich habe einmal einen „Kunden“  am Telefon gehabt, der offenbar schon in die Abofalle getappt ist. Aber soviel mehr konnte/wollte er mir nicht sagen.

Die Arbeit sah so aus, dass der Computer nacheinander Nummern gewählt hat, mir dann eine Maske mit den „Kundendaten“ (Vermutlich aus Datenhändler-Beständen und Telefonbüchern) angezeigt wurde und ich dann angefangen habe vorzulesen. Natürlich kam ich meistens nicht weit. Entweder es wurde sofort aufgelegt oder ich wurde übel beschimpft. Einmal wurde mir sogar mit dem Tod gedroht. Allerdings verständlich: Die Daten waren anscheinend schon sehr alt (Viele Nummern waren nicht mehr vergeben oder ich habe dann erfahren, dass betreffende Person schon tot ist), was bedeutet, dass die Angerufenen schon bei vielen Call-Centern registriert sind. Das bedeutete sehr viele Anrufe am Tag.

Wenn ich dann aber mal tatsächlich weiterkam, stiegen viele dann bei der Frage nach der Kontonummer aus. Tatsächliche Abschlüsse hatte ich in den vier Tagen á 8 Stunden um die 15, und damit war ich gut.



Trotzdem herrschte unter meinen Kollegen ein unglaublicher Druck. Zentral im Raum stand eine Flipchart mit Strichliste, und wer einen Abschluss gemacht hat durfte sich daran verewigen. Schon ab dem ersten Tag hatte ich eine gewisse Menge, die ich pro Tag zu erfüllen hatte. Nicht mal mit einer Strafandrohung, und heute kann ich wirklich nicht mehr nachvollziehen, wie sich dieser Druck aufgebaut hat. Aber er war da. Sehr.




Zu diesem „beruflichen Druck“ kommt dann noch der emotionale Druck, den ich mir selber gemacht habe, denn: Die meisten „Opfer“ hatten ein Geburtsdatum deutlich vor 1950. Wir haben also hauptsächlich ältere Leute angerufen. Und die haben sich wirklich über das „nette“ Gespräch gefreut und dann auch (aus Höflichkeit?) zu allem ja und amen gesagt.

Ich habe das nicht ausgehalten. Nach 4 Tagen und etwa 1500 Verbindungen habe ich aufgehört. Aber einige meiner Kollegen können das nicht: Sie wurden von der ARGE in das Call-Center vermittelt und können deswegen nicht aufhören.

Was ich mit diesem Artikel sagen will? Ganz einfach:
Das Verbot der telefonischen Kaltakquise muss endlich durchgesetzt werden. Derzeit bekommen Call-Center-Betreiber den Du-Du-Du-Finger und lachhafte Geldstrafen. Außerdem soll das Arbeitsamt keine Bedürftigen mehr in solche Zweifelhaften Sparten vermitteln (warum sie es trotzdem tun, erfahrt ihr HIER).

Das muss aufhören.


Haben wir wieder was gelernt:
  • Wie man sich vor Telefonterror schützt erfahrt ihr HIER - Am besten ist es aber immernoch, nie, nie, NIE seine Telefonnummer herzugeben, außer es lässt sich wirklich nicht vermeiden. Aber im Internet wirklich NIE. Und schon gleich 14mal nicht bei irgendwelchen "Verlosungen", seien die nun in der "REALITÄT" oder im Internet.
  • Ich schäme mich wirklich und würde mich am liebsten bei den 15 Leuten entschuldigen, die jetzt solche Verträge am Hals haben. 
  • Oft hatte ich auch ältere Leute am Telefon, die wirklich gerne zusagen würden, aber ihre Kinder/Enkel/Pfleger haben ihnen die Konten sperren lassen und sie verstehen gar nicht, warum. Und wie sehr sie sich freuen, dass sie mal mit jemandem am Telefon sprechen können. Das war so unheimlich traurig.
  • Der Beitrag ist eh schon zu lang. Husch, geht eure Omis und Opis anrufen!


Yeah, xx



4 Kommentare:

  1. OMG. Ich weiß genau über was du hier schreibst, ich habe selber in einem call center "angeschafft".
    Arme alte Menschen über den Tisch ziehen, ist nichts worauf ich stolz bin. ich habe es ganze 5 tage ausgehalten und bin dann geflüchtet, doch ich denke bis heute, das ich dafür in die Hölle kommen werde!
    Aber was tut man nicht alles, wenn das Geld knapp ist und einem die ARGE im nacken sitz!

    Liebste Grüße
    Dino

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  2. Ich war auch mal bei so einem Call Center und ich brauchte auch dringend Geld. Ich wurde eingeladen zu einem Kurs zum anlernen. Wo einem gesagt wurde, was man verkaufen soll uns auch noch beigebracht wurde, wie toll denn das Produkt sei usw.
    Schrecklich. Ich habe nicht weiter mitgemacht, weil mir das von vornherein komisch vorkam.
    Aber ich denke jeder macht mal Fehler und immer noch besser daraus zu lernen, als es konsequent mit vollster Begeisterung fortzuführen.

    Aber danke, endlich wieder Brüste!

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  3. Es gab in meiner "Bürogruppe" tatsächlich auch Leute, die das mit großem Spaß und Freude freiwillig gemacht haben :L
    Wie gesagt, ich weiß bis heute nicht, WAS ich da verkauft habe, ich konnte mir nur manches zusammenreimen.

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  4. Oh ja wie sehr ich diese Anrufe liebe^^ Zum Glück passiert das vllt 1 mal alle 2 Monate, aber auch nicht immer. Meistens lege ich dann auch auf, oder sage einfach nein, am Telefon ist das ja nicht so schwer.
    Das Schlimmste ist es ja wirklich, dass vor allem die älteren Menschen "verarscht" werden. Man sieht ja auch immer wieder diese Berichte über die angeblich kostenlosen Kaffeefahrten. Ich muss meine Omi und meinen Opi zum Glück nicht informieren, meine Oma hört am Telefon so gut wie nichts und mein Ops würde denen zeigen wos lang geht xD

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